Neues aus der Wissenschaft

01.01.2022 | Einfluss von COVID-19 bzw. mRNA-Impfstoffen auf die Fortpflanzung beim Menschen

Seit Monaten wird vor allem in den sozialen Medien kolportiert, dass mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 die Fruchtbarkeit negativ beeinflussen könnten. Als Basis dieser Hypothese wird z.B. angeführt, dass sich bei der durch die mRNA-Impfung vermittelten Antikörper-Bildung gegen das sogenannte „spike protein“ (S protein) unerwünschte Kreuzreaktionen mit ähnlichen humanen Proteinen (z.B. dem Syncytin 1-Protein in der Plazenta) ergeben könnten. Aus derartigen Informationen mit großer Streubreite vor allem durch das Internet resultiert verständlicherweise eine erhebliche Verunsicherung von Paaren mit Kinderwunsch, die wir auch in der Sprechstunde bemerken und die als häufiger Grund für eine Ablehnung der Impfung angegeben wird. Auch wenn von Beginn an ohne wissenschaftlich valide Verdachtsmomente bzw. Beweise kommuniziert wurde, setzen sich seitdem Wissenschaftler auf der ganzen Welt und nachfolgend auch die publizierte wissenschaftliche Literatur mit dem Thema auseinander. Ziel ist die sachliche Argumentation auf der Grundlage seriöser Studiendaten, deren Umfang momentan noch überschaubar ist, aber stetig wächst. Ein aktueller Review der verfügbaren Studien beschäftigt sich mit dem Einfluss der COVID-19-Infektion bzw. einer mRNA-Impfung auf die Reproduktion beim Menschen (Chen et al. Effects of COVID-19 and mRNA vaccines on human fertility. Hum. Reprod. 2021; Nov 3: Online ahead of print).

COVID-19-Infektion und weibliche Fruchtbarkeit
Grundsätzlich ist eine COVID-19-Infektion des weiblichen Genitale möglich. In ersten Studien gelang der Virusnachweis in Vaginalabstrichen, wobei der Einfluss einer solchen Infektion unklar ist. Bei einigen Patientinnen zeigte sich vorübergehend eine verstärkte Menstruation oder eine Zyklusverlängerung, woraus auf eine passagere Veränderung der Sexualhormone geschlossen wurde. In einer kleinen Studie in einem IVF-Programm zeigte sich ein signifikant niedrigerer Anteil qualitativ hochwertiger Embryonen je befruchteter Eizelle, wenn einer der beiden Partner eine COVID-19-Infektion erlebte und die Therapie 8-92 Tage nach dem negativen PCR-Test startete. Da die Studiendaten zu kurzfristigen Veränderungen noch überschaubar sind und Untersuchungen hinsichtlich eventueller Langzeiteffekte noch nicht vorliegen, besteht weiterer Klärungsbedarf.

COVID-19-Infektion und männliche Fruchtbarkeit
Bereits am Beginn der Epidemie wurde vermutet, dass COVID-19 die Blut-Hoden-Schranke überwinden kann. Im akuten Stadium war der PCR-Test im Ejakulat in 6,9% der Fälle positiv, nach der Gesundung in 1,4%, so dass momentan nur ein geringes Risiko und ein kurzzeitiger Nachweis angenommen werden.
Während der Infektion fielen hormonelle Veränderungen auf. Die Patienten zeigten höhere LH- und niedrigere Testosteronwerte sowie eine erhöhte Östradiol-/Testosteron-Ratio. Erste Studien beschrieben einen möglichen negativen Einfluss auf unterschiedliche Spermiogramm-Parameter sowie das Auftreten von Hodenbeschwerden.

COVID-19-Infektion in der Schwangerschaft und vertikale Transmission
Aufgrund der Immunsuppression sowie der physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft (erhöhter Sauerstoffbedarf, Zwerchfellhochstand durch die Größenzunahme des Uterus, abnehmendes Lungenvolumen, Ödeme der Atemwegsschleimhäute etc.) besteht eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber einem Sauerstoffmangel im Vergleich zur nicht-schwangeren Population.
Nach anfänglichen Vermutungen aus kleineren Studien, dass schwere Krankheitsverläufe in der Schwangerschaft im Vergleich zu Kontrollgruppen nicht häufiger auftreten, zeigte sich mittlerweile in umfangreicheren Untersuchungen eine signifikant höhere Hospitalisierungs- (58,2% vs. 17,4%) und Beatmungsrate (10,2% vs. 1,7%) in der Schwangerschaft gegenüber Kontrollen. In der plazentaren Dezidua und den Chorionzotten fanden sich z.B. Thrombosen und Infarkte. Deren Folge sind Perfusionsstörungen, die wiederum ein Oligohydramnion, eine fetale Wachstumsretardierung sowie eine Früh- oder Totgeburt verursachen können.
Das Risiko einer feto-maternalen („vertikalen“) Transmission des Virus wird momentan als gering eingeschätzt.

Einfluss einer mRNA-Impfung auf die Fruchtbarkeit
In 2 Studien konnte nachgewiesen werden, dass sich sowohl nach der Anwendung des Impfstoffes von Moderna als auch von BioNTech die Spermiogramm-Parameter nicht veränderten. Gleiches zeigte sich bei geimpften Frauen hinsichtlich der follikulären Steroidsynthese und der Eizellqualität im Vergleich zu nicht geimpften Kontrollen. Eine Studie in einem IVF-Kollektiv beschrieb nach der Impfung keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die Eizellzahl, den Anteil reifer Eizellen, die Befruchtungsrate und den Anteil qualitativ optimaler Embryonen je fertilisierter Eizelle.
Aus diesen Daten ergibt sich aktuell kein Hinweis für die kolportierten negativen Folgen einer mRNA-Impfung auf die weibliche und männliche Reproduktion.

Einfluss einer mRNA-Impfung auf schwangere Frauen und die Feten
Mittlerweile ist bekannt, dass die eingangs beschriebene Ähnlichkeit zwischen dem „S protein“ des Virus und anderen humanen Proteinen sehr gering ausfällt und das Aminosäure-Matching außerdem einen schlechten Prädiktor der möglichen allergischen Reaktion darstellt. Liegt z.B. bei 80 Aminosäuren eine Ähnlichkeit < 35% vor, traten keine Kreuzreaktionen auf. Passend dazu wurde gezeigt, dass im Serum von COVID-19-positiven Frauen keine Kreuzreaktionen z.B. zum Syncytin 1-Protein auftraten. Frauen nach einer mRNA-Impfung mit dem Impfstoff von Moderna oder BioNTech unterschieden sich in der Implantations- und fortlaufenden Schwangerschaftsrate nicht gegenüber ungeimpften Kontrollen.
Da für den Schwangerschaftsverlauf ein ausgewogenes Verhältnis z.B. innerhalb der T-Zellen wichtig ist und eine Impfung unter anderem die T-Zellen, Interferon γ etc. beeinflusst, war ein negativer Einfluss auf die Schwangerschaft denkbar. In mehreren Studien sind zuletzt aber niedrige Komplikationsraten gezeigt worden. Im Gegenteil wiesen geimpfte Schwangere signifikant geringere Wahrscheinlichkeiten für einen vorzeitigen Blasensprung (0,8% vs. 8,3%), eine Totgeburt (0,1% vs. 1%) und eine Frühgeburt (7,3% vs. 21,4%) gegenüber COVID-19-infizierten Schwangeren auf.
14 Tage nach der Impfung schwangerer Frauen sank die Rate nachgewiesener COVID-19-Infektionen deutlich. Der Transfer der mütterlichen Antikörper über die Placenta beginnt in der 17.-18. Schwangerschaftswoche und steigt im weiteren Verlauf der Schwangerschaft. Daher wird eine Impfung im frühen 2. Trimester als optimal angesehen, um das Neugeborene zu schützen. Obwohl nach einer Impfung erst im 3. Trimester der plazentare Antikörpertransfer weniger ausgeprägt resultiert, ist eine Immunisierung auch zu diesem Zeitpunkt sinnvoll. In jedem Fall treten über die Plazenta mehr Antikörper über als später via Muttermilch.

Zusammenfassung
Obwohl das Risiko einer COVID-19-Infektion des männlichen reproduktiven Systems bzw. von Feten niedrig ist, stellt die Infektion mit COVID-19 eine große Gefahr dar. Der Review zeigt andererseits, dass bei Frauen aus einer mRNA-Impfung (außerhalb bzw. in der Schwangerschaft) kein negativer Einfluss auf die Fruchtbarkeit bzw. den Schwangerschaftsverlauf resultiert. Die Vorteile des plazentaren Antikörpertransfers überwiegen die potentiellen Risiken. Auch wenn weitere Studien wichtig und erforderlich sind, konstatieren die Autoren, dass es auch im diskutierten Kontext (COVID-19-Infektion und Fruchtbarkeit, mRNA-Impfung und Fruchtbarkeit bzw. Schwangerschaft) klug ist, sich impfen zu lassen, anstatt die schwerwiegenden Symptome der Erkrankung zu riskieren.

Vor einer Kinderwunsch-Therapie empfehlen wir dringlich eine vollständige Impfung gegen COVID-19 sowie die zeitgerechte Auffrischung („Booster“).

 Prof. Dr. med. Frank Nawroth