Neues aus der Wissenschaft

01.03.2017 | Migräne und hormonelle Kontrazeption

Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen und betrifft v.a. das weibliche Geschlecht im fertilen Alter. Es werden zwei Subtypen (Migräne ohne Aura bzw. mit Aura) unterschieden. Typische Charakteristika der Migräne ohne Aura sind einseitiges Auftreten („Hemikranie“), ein pulsierender Charakter, welcher bei körperlicher Aktivität verstärkt wird und eine deutliche Beeinträchtigung des täglichen Lebens. Zusätzlich bestehen vegetative Begleitsymptome wie Appetitlosigkeit, Übelkeit (80%), Erbrechen (40-50%), Lichtscheu (60%), Lärmempfindlichkeit (50%) und Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen (10%). Als Aura werden komplexe neurologische Symptome (z.B. visuelle Phänomene, Hemiparesen, Sprach- und Sprechstörungen, Kribbelparästhesien) bezeichnet, die meist vor den eigentlichen Kopfschmerzen auftreten. Etwa ein Drittel der Patientinnen mit Migräne weisen diese mit Aura auf.
In der Vergangenheit konnte eine Assoziation zwischen einem erhöhten Apoplexrisiko (insbesondere ischämischer Schlaganfall) und dem Vorhandensein einer Migräne mit Aura festgestellt werden (1). Da auch die Einnahme kombinierter hormoneller Kontrazeptiva mit einer Steigerung des Risikos für einen ischämischen Schlaganfall einhergeht (2), bestanden theoretische Bedenken, dass bei gleichzeitig vorliegender Migräne mit Aura das Apoplexrisiko potenziert werden könnte.
In einem systematischen Review (Einschluss von sieben Fall-Kontroll-Studien) wurde daher das Risiko arterieller Gefäßverschlüsse (Myokardinfarkt und Apoplex) bei Migränepatientinnen (Subtyp meist nicht klassifiziert) unter hormoneller Kontrazeption erneut untersucht (3). Vier Studien wiesen dabei eine 2-4fache Steigerung des Apoplexrisikos bei Anwendung hormoneller Kontrazeption im Vergleich zu Frauen ohne hormonelle Kontrazeption und ohne Migräne nach. Eine Studie konnte ein gesteigertes Risiko für einen ischämischen Schlaganfall bei gleichzeitigem Vorliegen einer Migräne mit Aura unabhängig von der Einnahme hormoneller Kontrazeption nachweisen. In zwei Studien wurde kein gesteigertes Apoplexrisiko bei Kombination einer Migräne und gleichzeitiger Einnahme hormoneller Kontrazeption festgestellt, jedoch unabhängig voneinander schon.
Einbezogen wurden diese Daten auch in die Neubewertung der Daten in den USA (4). Vor Verordnung einer hormonellen Kontrazeption sollte eine Diagnosesicherung (Migräne mit/ohne Aura, Hormon-induzierte Kopfschmerzen?) erfolgen. Sofern eine Migräne ohne Aura besteht, können bei Fehlen weiterer zusätzlicher Risikofaktoren (Alter, arterieller Hypertonus, Nikotinkonsum) kombinierte hormonelle Kontrazeptiva eingesetzt werden (Risikokategorie 2). Bei Patientinnen mit Migräne mit Aura wird der Einsatz kombinierter hormoneller Kontrazeptiva weiterhin als inakzeptables Gesundheitsrisiko angesehen (Risikokategorie 4). In diesem Falle wären reine Gestagenpräparate vorzuziehen (Risikokategorie 2).

1. Kurth T. The association of migraine with ischemic stroke. Curr. Neurol. Neurosci. Rep. 2010; 10: 133-139.
2. Plu-Bureau et al.. Hormonal contraceptives and arterial disease: an epidemiological update. Best. Pract. Res. Clin. Endocrinol. Metab. 2013; 27: 35-45.
3. Tepper et al. Safety of hormonal contraceptives among women with migraine: A systematic review. Contraception 2016; 94: 630-640.
4. Curtis et al. U.S. Medical Eligibility Criteria for Contraceptive Use, 2016. MMWR Recomm. Rep. 2016; 65: 1-103.

Priv.-Doz. Dr. med. Sabine Segerer