Neues aus der Wissenschaft

01.07.2023 | ESHRE-Empfehlungen zum wiederholten Implantationsversagen

Eine Arbeitsgruppe der ESHRE hat Empfehlungen zum Vorgehen beim sogenannten „Implantationsversagen“ publiziert (ESHRE Working Group on Recurrent Implantation Failure et al. ESHRE good practice recommendations on recurrent implantation failure. Hum. Reprod. Open 2023; 3; https://academic.oup.com/hropen/article/2023/3/hoad023/7198324?searchresult=1).

In dieser Arbeit werden sowohl die Definition als auch diagnostische und therapeutische Empfehlungen auf Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Daten kritische bewertet.Innovativ ist zum Beispiel, dass die in der Literatur heterogene Definition des „Recurrent Implantation Failure“ (RIF) entgegen der sonstigen Fokussierung auf einen Cut off der kumulativ transferierten Embryonen ohne Implantation jetzt auf die individuelle kumulative Schwangerschafts-Chance bezogen wird. Überschreitet diese zu erwartende individuelle kumulative Chance 60%, ohne dass eine Implantation eintrat, postulieren die AutorInnen ein RIF. Das kann altersabhängig nach einer unterschiedlichen Zahl von Therapieversuchen sein. Empfohlen wird eine individuelle Kalkulation der Chancen über ivfpredict.com.  Eine pauschalere Beurteilung ist auf Basis der nachfolgenden Tabelle (Tab. 1) möglich.

  Alter der Frau (Jahre) RIF-Grenze > 60%

Transfer von nicht genetisch
getesteten Embryonen
(unklare Euploidie)

< 35 nach 3 Transfers
35-39 nach 4 Transfers
≥ 40 nach 6 Transfers

Transfer von genetisch
getesteten (euploiden)
Embryonen

< 35 nach 2 Transfers
35-39 nach 2 Transfers
≥ 40 nach 2 Transfers

Tabelle 1

Dem entsprechen Daten aus einer anderen gerade publizierten Arbeit zu einem RIF-Consensus-Treffen (Pirtea et al. Recurrent implantation failure: reality or a statistical mirage?: Consensus statement from the July 1, 2022 Lugano Workshop on recurrent implantation failure. Fertil. Steril. 2023; 120: 45-59) (Tab. 2).

Geschätzte Zahl genetisch nicht getesteter Embryonen guter Qualität in Analogie zum sukzessiven Transfer von 3 euploiden Embryonen und einer 95%igen Implantations-Rate (berechnet auf der Basis der altersabhängigen Aneuploidie-Rate)
Alter der Frau (Jahre) Aneuploidie-Rate

Zahl ungetestet transferierter Blastozysten für
eine 95%ige Implantations-Rate

< 35 20 % 4
35-37 30 % 5
38-40 50 % 7
41-42 70 % 13
≥ 43 85 % 27

Tabelle 2

In der erstgenannten Publikation der ESHRE kommt die Expertengruppe nach Auswertung der wissenschaftlichen Daten/Beweise zu den nachfolgenden diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen bei einem RIF.

Diagnostik beim RIF

empfohlen
  • Beurteilung des Lebensstils von Mann und Frau (Nikotin, BMI etc.)
  • Beurteilung der Endometriumdicke
  • Ausschluss Anti-Phospholipid-Ak/ Anti-Phospholipid-Syndrom
kann erwogen werden
  • Karyotypisierung von Mann und Frau
  • 3D-Sonographie/Hysteroskopie
  • Beurteilung der Endometriumfunktion (nicht Rezeptivitäts-Tests)
  • Beurteilung einer chronischen Endometritis
  • Beurteilung der Schilddrüsenfunktion
  • Beurteilung der Progesteronwerte (späte Follikel-/mittlere Lutealphase)
nicht empfohlen
  • Messung von Vitamin D, Messung der vaginalen und uterinen Mikrobioms, Messung der peripheren und uterinen NK-Zellen, Messung der Zytokine im Blut, HLA-Typisierung, Messung der mitochondrialen DNA, Messung der DNA-Fragmentierung der Spermien

Therapie beim RIF

empfohlen
  • Östradiol-Gabe bei dünnem Endometrium
  • genetische Diagnostik und PID bei chromosomalen Auffälligkeiten
  • Optimierung des Lebensstils
kann erwogen werden
  • antibiotische Therapie einer chronischen Endometritis
  • Aneuploidie-Screening der Embryonen
  • Blastozysten-Transfer
nicht empfohlen
  • Vitamin D-Gabe, Endometrium-Scratching, G-CSF-Gabe, Intralipid i.v., Immunglobuline i.v., intrauterine Gabe von PBMC, PRP oder HCG, Heparin-Gabe, Vorbehandlung mit GnRHa und Aromatase-Hemmern, Assisted hatching

Weiterhin gibt es viele offene und wissenschaftlich noch zu klärende Fragen. Die Stellungnahme der ESHRE hilft, das derzeitige und in stetigem Fluss befindliche Wissen kritisch einzuordnen und praxisrelevante Schlussfolgerungen für unseren Arbeitsalltag abzuleiten.

Prof. Dr. med. Frank Nawroth